Splendid Isolation, June 2018, art center Bethanien, Berlin, Germany.
Ein jeder Engel ist schrecklich.
Es war Nietzsche, der darauf verwiesen hat, dass die Schönheit das Schreckliche erst erträglich macht. Was will dieser Satz eigentlich besagen… Die Schönheit macht das Schreckliche erträglich - Genau das besagt dieser Satz. Die Schönheit macht das Schreckliche erträglich - Ja ! : Indem sie, wenn auch nur zeitweilig, den bitter stechenden Schmerz abstumpft, welche dieses Letztere noch einmal mehr - wie eh und je - als seine einseitig ausgerichtete Nachricht hinterlassen hat: Es war unausdenkbar, und jetzt -, jetzt ist es nicht nur allein möglich, nein, es ist tatsächlich geschehen ! Und der Schock dieser Offenbarung (rekurrent, rekursiv, remanent, retrograd), er fügt uns über alles hinausgehendes Leid zu; er lässt uns tiefer leiden als die bloβen Auswirkungen affektiver Gefühlswallungen angesichts der noch blutigsten, der grausamsten, selbst erdrückensten Anekdote. So war es einst der Kunst aufgegeben (ohne das man es ihr gesagt hätte) für die von den Abscheulichkeiten der Welt, folglich vom Menschen selbst, folglich von sich selbst niedergeschlagenen Geister wohltuende Ablenkung zu stiften, wobei eben in Erwägung zu ziehen ist, dass jeglicher Schrecken uns nur in dem Ausmaβe ergreift wie wir ihn selbst verursacht haben könnten, oder wir die indirekte Ursache, ja sogar die Täter selbst sind. Es ist die eigene Schrecklichkeit, vor der man mit Schrecken erbleicht. - "Zeige uns, dass das Gute auch möglich ist" -, fordert man von ihr ; die Kunst aber, vorsichtig wie sie ist, hat noch niemals geantwortet.
"Hier nun wird es nöthig, uns mit einem kühnen Anlauf in eine Metaphysik der Kunst hinein zu schwingen, indem ich den früheren Satz wiederhole, dass nur als ein aesthetisches Phänomen das Dasein und die Welt gerechtfertigt erscheint: in welchem Sinne uns gerade der tragische Mythus zu überzeugen hat, das selbst das Hässliche und Disharmonische ein künstlerisches Spiel ist, welches der Wille, in der ewigen Fülle seiner Lust, mit sich selbst spielt."
Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie
Übersetzung, Roland Baumann
English:
Every angel is dreadful.
Beauty softens horror, Friedrich Nietzsche once reported. What might we mean by this. Beauty softens the horror; that is to say: by temporarily blunting the bitterness that it produces by having once again, as always, delivered its unique unilateral message: “It was unimaginable, and now, not only it is possible, but it happened!” And the shock of this revelation (recurrent, recursive, remanent, retrograde) makes us suffer beyond and much deeper than the mere effect of affects facing the most bloody, the most cruel, or even the most massive anecdote. So it is to the art that it was long ago given for mission (with nothing having being told to it) to generate a beneficial diversion to the spirits stunned by the atrocity of the world, so of the man, therefore of themselves, given that the horror spreads in us only to the extent that one realizes that one could have triggered it oneself, that one is perhaps the indirect cause, if not the author. It is the horror of oneself that makes us grow pale.
“Show us that Good is possible too” we ask; but the art, cautious, never answered.
« Here it is necessary to raise ourselves with a daring bound into the metaphysics of Art. I repeat, therefore, my former proposition, that it is only as an aesthetic phenomenon that existence and the world, appear justified: and in this sense it is precisely the function of tragic myth to convince us that even the Ugly and Discordant is an artistic game which the will, in the eternal fullness of its joy, plays with itself. »
Friedrich Nietzsche: The Birth of Tragedy
Translation, Dennis Couzin, Michel Carmantrand
French:
Tout ange est terrible.
La beauté adoucit l’horreur, rapportait Friedrich Nietzsche. Ce que veut dire cette phrase. La beauté adoucit l’horreur, c’est-à-dire : en émoussant temporairement l’amertume que celle-ci produit en ayant une fois de plus comme de tous temps délivré son message unilatéral unique : c’était inimaginable, or non seulement c’est possible, mais cela s’est produit ! Et le choc de cette révélation (récurrent, récursif, rémanent, rétrograde) nous fait souffrir au-delà et bien plus profondément que le simple effet des affects confrontés à l’anecdote la plus sanglante, la plus cruelle, voire la plus massive. Aussi est-ce à l’art qu’il fut jadis donné pour mission (sans qu’on le lui eût dit) d’engendrer un dérivatif bénéfique aux esprits assommés par l’atrocité du monde, donc de l’homme, donc d’eux-mêmes, attendu que l’horreur ne se répand en nous que dans la mesure où l’on réalise que l’on pourrait l’avoir déclenchée soi-même, que l’on en est peut-être la cause indirecte, sinon l’auteur. C’est de l’horreur de soi que l’on pâlit d’horreur. — « Montre-nous que du bon est possible aussi » —, lui demande-t-on ; mais l’art, prudent, n’a jamais répondu.
« Ici, il est nécessaire de nous élever résolument jusqu’à une conception métaphysique de l’art, et de nous rappeler cette proposition précédemment avancée que le monde et l’existence ne peuvent paraître justifiés qu’en tant que phénomène esthétique ; auquel sens le mythe tragique a précisément pour objet de nous convaincre que même l’horrible et le monstrueux ne sont qu’un jeu esthétique, joué avec soi-même par la Volonté dans la plénitude éternelle de son allégresse. »
Friedrich Nietzsche : La Naissance de la tragédie.
Show:
Michel Carmantrand
A great text by Rolf Rose:
In der Republik von
Angela Merkel, also jetzt im Jahr
2018
Zu den Berliner
Galerietagen 2018 finden verschiedene, teilweise von Künstlern organi-sierte
Ausstellungen statt. Eine davon habe ich im Haus Bethanien gesehen. 20
großformatige Bilder von 20 Malern. Wenn man sich fragt, was diese Maler zusammen
hält, dann kommt man zu dem eigentlich auch nicht so
richtig überraschenden Schluss, dass es inzwischen einen etablierten
Akademismus gibt. Der Salon ist
wieder da. Alle diese Maler sind hochprofessionell an deutschen oder französischen
oder englisch/amerikani-schen Akademien ausgebildet worden, alle ohne Ausnahme
bei den heutigen Stars der Kunst-szene, die in den 60er, 70er, 80er Jahren an
den Hochschulen das Sagen hatten. Es gibt inzwischen eine riesige Menge von
Künstlern, die zu dieser Gruppe zuzurechnen sind. Wenn man den Output der
Hochschulen seit 1960 zusammenzählt, müßten das Zehntausende sein. Alle
Kunstrichtungen dieser Jahre sind in ihren verschiedenen Ausprägungen vertreten
und es macht großen Spaß, diese Bilder anzusehen.
In diesem Salon besteht allerdings
der größte Spaß darin, die Exponate daraufhin aufzudrö-seln, wo ihre Wurzeln
liegen. Also im ameri-kanischen Expressionismus, im Minimalismus, in der Monochromie,
in der Pop-Art, in der gestischen oder konkreten Malerei und in noch
vielen anderen Stilen. Ja sogar die Pariser Abstraktion der fünfziger Jahre
taucht als Referenz wieder auf. Wenn man nun beurteilen will, welche Qualität
die einzelnen Arbeiten auszeichnet, so kann es nur darum gehen, den Hintergrund,
die Motivation und die jeweiligen Vorbilder genau herauszufinden und den Grad
der Bewältigung und Weiterführung in eine neue Bildfindung zur Grundlage einer
Beurteilung zu machen. Auch muss wohl honoriert werden, dass alle
diese Künstler mit totaler Hingabe an das Bedeutungspotential abstrakter Formen
glau-ben, an ihre
Unausschöpfbarkeit.
Da nun gibt es
riesige Unterschiede. Erstmal muss man sich klarmachen, dass riesige Felder des
Metiers von den Vertretern dieser Konzeption von Malerei ausgelassen werden. Das
kann in den verbleibenden Möglichkeiten der Bildfindung schnell in fade
Esoterik, in schrecklichen Wust und Materialhuberei füh-ren. Anpassung
und Eklektizismus sind also häufig die Regel. Denn seit den Vorvätern der
abstrakten Expressionisten hat sich das heroische der großen Geste totgelaufen. Das
Heutige bestimmt die große Nüchternheit, weil in der Vielheit und Anhäufung der
damit verbundenen Kleinteiligkeit dessen, was man ausforschen kann, das Problem
und damit auch die mögliche Lösung liegt.
Was auf den ersten
Blick so aussieht, als sei damit ein Rückzug verbunden, erweist sich aber als
der präzise Versuch einer
genauen Diagnose der internen Grundlagen dessen, was ein Bild heute noch leisten
kann. Das alles beschreibt eben keine Rückzüge, sondern ist ein bewusstes
Ausloten, eine Vervollkommnung in Umfang und der tiefen Verborgenheit der menschlichen
Empfindsamkeit. Es sind eher die
erfahreneren Künstler, deren psychische Stabilität und deren großer,
experimenteller Erfahrungshintergrund in eine eigene bildästhetische Reife
führt, die so in ihren Bildfindungen überzeugen. Diese abgeklärte Reife besagt
eben, dass es kaum noch um das Finden neuer Formen geht, sondern dass das
Geheimnis des Gelingens in der jeweiligen Setzung liegt und im Dranbleiben und
dem zähen Immer-Wieder und Immer-Wieder und also in der Farbe und ihrer Aussagekraft. Die
Verdichtung dieser quasi gottgegebenen Anwendbarkeit, ihre Unendlichkeit
in Kombination und Überlagerung, bilden das Potential, aus dem Vertrauen in die
Aussagekraft dieser Bilder führt.
Dieses Tun ist dem
Vorbild Sisyphos geschul-det und hat dessen Gleichnishaftigkeit und Leben erklärende Schwere in die
Malerei überführt und dieses Metier damit auratisiert oder zumindest
legitimiert und damit jeden erneuten Versuch und die damit verbundenen Hoffnungen und Mühen
zu seiner quiet-schlebendigen, immerwährenden Existenz verholfen. Es sind die in
den kleinsten Miasmen versteckten, in diesen kleinsten Partikeln
hineingezogenen, aufgeladenen Materiesplitter, deren Schwebezustand sie auch zu
Gedankenpartikeln werden lässt, zu einer Mixtur, die das Eine mit dem ganz Anderen
verbindet und so die Imagination in die Welt hinauslässt. Dieser tief
versteckte Hintergrund, Untergrund ist die Basis dessen, was die Evokation
dingfest, zur Tatsache macht. Diese Malerei kramt das Unterste nach oben, dreht
und wendet es, verbannt es wieder nach unten, lässt aber noch ein bisschen als
Spur, als Transparenz zurück und ist noch und noch eine Fundgrube für
Jedermann. Bei den besten
Arbeiten ist die Bedeutung versteckt im implizierten Geheimnisvollen
verborgen. Es ist ein fast aggressiver Akt, aber auch ein gemeinter
romantischer, denn: Was ist eine Spur, wenn man nicht verloren gehen kann? Und diese Spur
liegt im Bild und läuft von der vorhandenen Ansichtssache über in die Welt der
Gedanken, der Unendlichen. Und das ist schön, das bildet Schönheit in Freiheit. Was jedoch und
immer und also bleibt, ist die leidige Frage: Aber was bedeutet das? In Bandbreite und
Umfang und überhaupt. Was und wie. Die Bedeutung von
Bedeutung, ihre Relevanz. Das Urteil, was für
ein Wort, ganz nahe in seiner Bedeutung bei Vernichtung und Tod. Dieser Husarenritt,
der es immer war, ist heute zu einer Panzerschlacht gewandelt und wird gerade
nochmal umgekrempelt und mutiert in das neueste Spielfeld Artificial
Intelligence. Künstliche Intelligenz. Sehr schöne Worte und sehr passende
Worte. Kunst ist ein künstliches Produkt, in euphemistischer Umwandlung ein künstleri-sches, und
in dem sind alle Spielarten erlaubt. Ein Spielfeld ist
die Abstraktion: begrenzt und dennoch unbegrenzt und gedacht als einzig dem
Menschen zugängliches Reich und wichtig für die großen Schritte. Und wenn diese
Schritte um den Erdball führen, dann kommt man überall hin und findet überall
Neues und ist immer unter dem Himmel und immer auf der Erde. Wie ich finde.
Rolf Rose
Show:
Works and artists:
Sarah Alexander
David Barbarino
Heiner Binding
Michel Carmantrand
Christiane Conrad
Ralf Dereich
Ruprecht Dreher
Jérôme Dupin
Isabelle Dyckerhoff
Pius Fox
Laurence Grave
Daniel Lergon
Pierre Louaver
Hannu Prinz
David Rhodes
Ivo Ringe
Anne Schreiber
Wolfgang Schröder
Stefan Schröter
Mathias Wild